Bücherwelten

Ewiges Leben, Außerirdische, Chefredakteur und Doppelagent – meine Leseliste Teil 10

In den letzten Monaten bin ich in ein anderes Sonnensystem geflogen, um die Welt zu retten. Ich habe erlebt, wie es ist, wenn niemand mehr altert oder stirbt. Ich war als Doppelagent wider Willen in meiner alten Heimat Berlin unterwegs und ich habe den Chefredakteursposten des wichtigsten deutschen Nachrichtenmagazins nicht bekommen. Mit anderen Worten: ich habe einige wirklich gute Bücher gefunden und gelesen.

Geholfen hat mir dabei übrigens maßgeblich ChatGPT. Tatsächlich tue ich mich, gerade, wenn mich ein Buch als besonders gefesselt hat, oft schwer damit, das nächste Buch für mich zu finden. Also habe ich der KI die letzten fünf, sechs Bücher genannt, die mir wirklich gefallen haben – und habe einige wirklich gute Vorschläge für weitere Bücher bekommen. Kann ich nur empfehlen – so wie diese kleine Auswahl aus meinen letzten Lesewochen hier auch:

Maja Lunde, Für immer

Stell Dir vor, Du hättest alle Zeit der Welt: diesen Untertitel verpasst amazon dem überraschend dünnen Buch. Die Ausgangsfrage ist schnell erzählt: Was würde passieren, wenn plötzlich kein Mensch mehr altert, niemand mehr stirbt und niemand mehr geboren wird?

Was nach Science Fiction klingt, ist bei Maja Lunde eher als Gesellschaftsroman angelegt. Technische oder biologische Hintergründe spielen keine Rolle, es ist einfach so. Wobei dem Menschen als einziger Lebensform das Altern vorenthalten wird. Er wird praktisch ausgeschlossen aus dem Kreislauf der Natur aus Geburt und Tod, Entstehen und Vergehen.

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von einer überschaubaren Anzahl Personen: Ellen, Angestellte in einem Bestattungsinstitut und Base-Jumperin, die plötzlich keinen Spaß mehr am Nervenkitzel hat; das junge Paar Jakob und Lisa, die ihr erstes Kind erwartet, das nun einfach nicht mehr wächst; Jenny, Fotografin und zweifache Mutter, eigentlich totkrank, die nun unerwartet weiterleben darf – und muss; Otto und Margo, ein älteres Paar, die sich eigentlich gerade mit ihrem Lebensabend arrangieren wollten.

All diese Menschen gehen unterschiedlich mit der neuen Situation um. Nebenbei schildert die Autorin, wie die Regierungen weltweit nach Lösungen suchen und (so viel sei gespoilert: am Ende auch auf ziemlich banale Weise finden), während im Dunstkreis der Protagonisten erste Verschwörungstheorien zu wuchern beginnen.

Anfangs habe ich geschrieben, das Buch sei überraschend dünn. Das ist es in meinen Augen vor allem gemessen an dem großen Thema, dem es sich angenommen hat. Aus der Grundpremisse hätte man mehr machen können, finde ich. Trotzdem hat mir das Buch gefallen. Zum einen, weil ich die beschriebenen Einzelschicksale als sehr glaubhaft wahrgenommen habe. Zum anderen, weil die Ausgangsfrage natürlich dazu einlädt, sich selbst mit den existenziellen Fragen zu befassen, die sie anreißt.

Andy Weir, Der Astronaut

Ich mochte der Marsianer, als Buch, nicht als Film. Der gleiche Autor hat mit „Der Astronaut“ vor vier Jahren sein insgesamt drittes Buch vorgelegt. Auch dieses Buch wurde bzw. wird verfilmt und kommt kommendes Jahr ins Kino. Der Trailer hat schon jetzt einige Rekorde gebrochen. Ich bin sehr gespannt auf den Film. Das Buch jedenfalls ist großartig – wenn man es auch mal etwas technischer mag.

Die Geschichte: Ryland Grace erwacht ohne Erinnerung in einem Raum. Nicht mal seinen Namen weiß er, stellt aber schnell fest, dass er nicht allein ist. Zwei inzwischen mumifizierte Leichen liegen mit ihm in dem Zimmer, dessen Schwerkraft sich seltsam anzufühlen scheint.

Es dauert eine Weile, bis Grace herausfindet, dass er sich in einem Raumschiff befindet. Die beiden Toten sind seine beiden Crewmitglieder und haben das künstliche Koma anscheinend nicht überlebt, in das man die Passagiere versetzt hat. Ihre Mission: die Welt retten. Die wird nämlich von seltsamen Miniorganismen bedroht, die nach und nach die Sonne verfinstern. Wie eine ansteckende Krankheit sind sie von Stern zu Stern gewandert – nur einen haben sie dabei verschont. Herauszufinden, warum das so ist, ist Grace Aufgabe.

Das findet Grace, der in seinem früheren Leben Highschool-Lehrer war, nach und nach heraus, während seine Erinnerung Stück für Stück zurückkommt. Vor allem aber bekommt er Gesellschaft: ein fremdes Raumschiff dockt an seinem Schiff an und er trifft „Rocky“, eine spinnenähnliche Lebensform in Pudelgröße, die kein Licht sehen kann, sondern seine Umwelt mittels Echoortung wahrnimmt, und in gleicher Mission unterwegs ist wie Grace: er soll seinen Planeten vor dem Einfrieren retten, weil auch dessen Sonne sich zu verdunkeln begonnen hat.

Wie schon bei „Der Marsianer“ ist „Der Astronaut“ angenehm flüssig geschrieben und verwebt die Masse an physikalischen und mathematischen Rätseln und Herleitungen mit einer überaus unterhaltsamen Story. Weir springt dabei immer wieder zwischen der Ist-Zeit im Raumschiff und Szenen in der Vergangenheit hin und her, während Grace langsam seine Erinnerung zurückerlangt und zu verstehen beginnt, warum er auf dieser Mission ist, wo er doch eigentlich so ziemlich das Gegenteil von einem Astronauten ist.

Joseph Kanon, Leaving Berlin

Meine ersten Lese-Erinnerungen, nachdem ich Kinder- und Jugendbücher hinter mir gelassen hatte, haben mit Spionage zu tun. Das lag daran, dass Spionage-Thriller lange das bevorzugte Genre meines Vaters war. Als ich in einem Urlaub alle meine Bücher durchgelesen hatte, fand ich bei ihm Nachschub – und blieb dem Genre eine ganze Weile treu.

Leaving Berlin ist ein Spionage-Roman erster Stunde. Er spielt im Berlin des Jahres 1949. Die Stadt liegt in Trümmern und die Luftbrücke zur Versorgung des abgeschnittenen West-Sektors ist in vollem Gange. Zur gleichen Zeit hat in den USA die Verfolgung mutmaßlicher Kommunisten unter Senator Joseph McCarthy begonnen. Als einen der ersten trifft es den gefeierten jüdischen Autor Alex Meier. Dieser muss Amerika verlassen und geht nach Ostberlin, wo er mit offenen Armen von den Russen initiierten Kulturbund aufgenommen wird. Seine geschiedene Frau und sein Sohn bleiben in den Staaten.

Die CIA wittern ihre Chance und bieten Meier eine Chance auf Rückkehr in die USA an, wenn es ihm gelingt, Informationen über einen hochrangingen Russen zu beschaffen, der, welch praktischer Zufall, mit Meiers Jugendliebe liiert ist. Widerwillig stimmt Meier zu, ist dies doch die einzige Chance, seinen Sohn in Amerika wieder zu sehen.

Auch die K5, die Vorläufer-Organisation der Stasi, interessiert sich für Meier. Ob er sich nicht unter seinen Schriftsteller-Kolleginnen und -Kollegen ein wenig umhören könne, wer sich kritisch zum neu aufzubauenden sozialistischen Deutschland äußere. Auch hier hat Meier nicht wirklich eine Wahl.

Doch schon kurz nach Meiers Ankunft in Berlin, läuft die Sache aus dem Ruder. Meier wird plötzlich verfolgt und erschießt einen der Verfolger. Er entkommt, unerkannt, wie er hofft, wird aber ohne es zu wollen immer tiefer in die Rivalitäten zwischen Amerikanern, Russen und Deutschen verstrickt. Halb aus Notwehr begeht er einen weiteren Mord und am Ende bleibt ihm gar nichts mehr anderes übrig, als sein eigenes Spiel zu spielen, wenn er heil aus der Sache rauskommen will.

Kanon schreibt all das überaus detailliert und historisch an vielen Stellen korrekt eingebettet auf (an einigen Stellen erlaubt sich der Autor ein wenig künstlerische Freiheit, benennt und erklärt dies aber im Nachwort). Vor allem lebt das Buch davon, das am Ende fast nichts so ist, wie es scheint, weil fast alle Figuren ihre jeweils eigenen Dilemma zu bewältigen haben, während sie zwischen den unterschiedlichen politischen Systemen und den jeweiligen Eigeninteressen zerrieben werden. Höchst-spannend, wahnsinnig gut konstruiert und toll zu lesen!

Peter Huth, Aufsteiger

Am Anfang ist da diese tote Frau. Mit der eigentlichen Geschichte scheint sie allerdings nichts zu tun zu haben.

Deren Hauptperson heißt Felix Licht und hat seit Jahren auf diesen Tag hingearbeitet: heute wird ihn Verleger Christian Berg zum Chefredakteur des „Magazin“ machen, dem einflussreichsten Magazin des Landes. Doch es kommt anders: statt seinem Namen steht da der Name „Zoe Rauch“ auf der Pressemitteilung, die ihm der Verleger freudestrahlend in die Hand drückt. Ausgerechnet Zoe – deutlich jünger als Felix, erklärt woke und ganz nebenbei noch eine Bekannte von früher.

Soweit die Ausgangssituation. Diese erzählt Huth nicht nur aus der Perspektive von Felix Licht, der neben seiner Beförderung kurz darauf auch seine Familie verliert, sondern springt immer wieder zwischen den Handelnden hin und her. Neben Licht sind das unter anderem der besagte Verleger, Christian Berg, und dessen Frau Charlotte, die mit einem Modelabel ein Vermögen gemacht haben, das dann leider vor allem in rechtsradikalen Kreisen geliebt wurde. Ferner ist es ein windiger Anwalt, der aus seiner Kanzlei geworfen wurde und nun mit Hassvideos im Internet sein Geld verdient. Und natürlich Zoe Rauch, deren ganze Geschichte und welche Beziehung sie mit Felix Licht verbindet der Leser zum größten Teil erst ziemlich am Ende des Buches erfährt.

Autor Peter Huth kennt die Branche, über die er schreibt. Er war Chefredakteur der Welt am Sonntag und wurde später Kommunikationschef bei Axel Springer. Es dürfte also kein Zufall sein, dass viele der handelnden Personen durchaus ihre Entsprechung in der Realität haben oder diesen zumindest sehr nahe kommen. Das hat das Buch zumindest für mich um so spannender gemacht. Doch auch ohne beruflichen Medien-Hintergrund ist die Art, wie Huth gesellschaftliche Themen zu Handlungsfäden spinnt und diese dann geschickt miteinander verwebt äußerst lesenswert.

Einen kleinen Knalleffekt liefert der Autor zudem am Ende des Buches, wenn der Leser weiß, wer die zu Beginn eingeführte Leiche ist. Auch das vermeintliche Happy End deklassiert Huth auf den letzten Seiten noch einmal aus und entlässt den geneigten Leser mit einer gehörigen Portion Kopfkino. Fazit: tolles Buch!

In diesem Sinne, habt Ihr andere Tipps als ChatCPT – her damit! (Weitere Leselisten gibt es hier)

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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