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Sonntagsbahnhof

ICE

Ich mag Bahnhöfe am Sonntagabend. Vielleicht weil ich sie früher nicht mochte. Früher fuhr sonntagabends immer mein Zug in Richtung Kaserne. Ich habe meine Arbeit bei der Luftwaffe gemocht. Ich habe dort für eine Zeitschrift geschrieben und fotografiert, bin viel gereist. Was mir nicht gefiel, war das Gefühl, keine Wahl zu haben. Fuhr ich Sonntagabends nicht zum Bahnhof, würden Montagmorgens die Feldjäger vor meiner Tür stehen – um es mal (ein bisschen) überspitzt zu formulieren.

Das ist inzwischen 15 Jahre her. Ich glaube allerdings, dass seitdem anders auf die Menschen schaue, die sonntagsabends die Bahnhöfe der Republik bevölkern. Wochenendpendler mit der gleichen wehmütigen Routine wie ich damals. Fernbeziehungsopfer, mal mit, mal ohne Abschiedskuss am Bahnsteig. Berufstätige, die am nächsten Morgen einen frühen Termin in einer anderen Stadt haben und deswegen ihr Wochenende vorzeitig beenden – leicht zu erkennen am leichten Business-Gepäck und der Anzugtasche. Studenten, die das Wochenende bei Mama und Papa verbracht haben, und nun mit einem Rucksack voll mit sauberer Unterwäsche in den ICE steigen. Meist brauche ich einen Menschen nur anzusehen und weiß, zu welcher Kategorie er oder sie gehört.

Sonntagabende am Bahnhof stehen für mich für Vergänglichkeit und Kontinuität gleichermaßen. Nichts lässt einen das Wochenende deutlicher spüren als freitagsabends zum Bahnhof zu fahren und in einen Zug zu steigen. Nie scheint dieses Gefühl weiter weg als an einem Sonntagabend auf Bahnsteig 3. All das sauge ich in mich auf, wenn ich ausnahmsweise mal wieder zur entsprechenden Zeit durch eine Bahnhofshalle laufe.

In diesem Sinne, gute Fahrt und schönes Wochenende!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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