Mitmenschen Zeitreisen

Mondzeit

2013-05-17-Mondzeit

Manchmal kommt man ja auf blöde Ideen. Zum Beispiel letztens. I. und ich waren in Neu-Ulm unterwegs. Ein Neubaugebiet auf einem ehemaligen US-Army-Gelände. Die meisten Häuser stehen bereits, selbst einen weitläufigen Kinderspielplatz gibt es. Was fehlt, sind die Menschen. Das heißt, eigentlich fehlen sie nicht. Sie sind nur … kleiner.

Die meisten Häuser sind bewohnt. Bei manchen kann man das sogar sehr genau sehen, denn statt Wänden hat man sich entschieden, riesige Glasfronten einzubauen. Wie bei einem Aquarium. So kann man beobachten, wie das Abendessen in der Küche zubereitet, ins Esszimmer getragen, verspeist und anschließend beim Fernsehen im Wohnzimmer verdaut wird. Nicht mal den Standpunkt muss man dabei wechseln. Glaube ich jedenfalls. Ausprobiert haben wir das natürlich nicht. Hätte wohl ziemlich komisch ausgesehen, wenn wir stundenlang ein und dasselbe Haus angestarrt hätten.

Wie schon angedeutet, ist das Gebiet ziemlich weitläufig. Außerdem wechselt es sehr plötzlich seine Gestalt. Gerade ist man noch mittendrin im begrünten Betondschungel, einen Meter weiter steht man mitten auf dem weiten Feld (das sieht man oben auf dem Bild). Es fühlt sich ein bisschen an, als würde man sich in der Peripherie einer Modeleisenbahn befinden, die ein verzogener Siebenjähriger zum Geburtstag bekommen hat.

Andere Menschen sieht man nur wenige. Daher ist es auch immer etwas seltsam, wenn man in dieser Modelleisenbahn-Mondlandschaft auf einen anderen Menschen trifft. So komisch, dass I. und ich uns irgendwann die seltsamsten Dialoge überlegt haben.

“Welcher Tag ist heute”, könnten wir ihn fragen. “Und wenn er dann antwortet, rufen wir hysterisch: ‘In welchem Jahr, verdammt? In welchem Jahr?'”. Wenn er uns die Jahreszahl nennt, würden wir uns vielsagend anschauen und wiederholen: “2013 hat er gesagt” – “Ja, hat er gesagt.” – “Dann ist es noch nicht passiert, oder?” – “Nein, es ist  noch nicht passiert. Aber bald ist es soweit! Wir müssen uns beeilen!”

Wir haben es nicht ausprobiert. Ich bin aber ziemlich sicher, in dieser Mondlandschaft hätte der fremde Mann uns zumindest nicht gleich für verrückt erklärt. Er hat ja keine Ahnung …

In diesem Sinne, wie viel Uhr ist es eigentlich?

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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